Vollkommen sprachlos und verblüfft starrte der Tränkemeister in das Gesicht eines ihm aufrichtig und gewinnend zulächelnden und zuzwinkernden Sirius Black. Severus verstand die Welt nicht mehr. Sein Misshandler aus Jugendtagen hatte sich wirklich bei ihm entschuldigt. So lange hatte er darauf gewartet, es sich von Herzen gewünscht, es so sehr erhofft und jetzt war es einfach geschehen.
„Der Irre hatte sich also quasi in dein Herz geschlichen?“, fragte der Gryffindor - um dem eindeutig emotional überforderten Lehrer ein wenig Ablenkung zu gönnen.
Dieser schluckte erst noch schwer und meinte dann: „So in etwa könnte man es zwar ausdrücken - aber das würde ich nicht.“ Eine hochgezogene Augenbraue begleitete diese Worte. „Wie gesagt, ich sah in ihm so etwas wie einen Vaterersatz. Er hat mich voll eingelullt“, lachte er kurz sarkastisch auf. „Wie ich ja mittlerweile weiß, ist er nicht nur ein Soziopath, sondern ein echter Psychopath - er erkannte, was diejenigen, in denen er Potenzial sah, brauchten und gab uns genau das. So waren wir der Ton in seinen Händen, aus denen er die Gefäße modellierte, die er haben wollte. Er malte mir eine Welt, wie ich sie mir erträumte und wie ein Verdurstender saugte ich jedes Wort, was er von sich gab auf. Ich bin ins tiefe Meer gesprungen, so sorglos, als wäre ich selbst eine Robbe. Nur um viel zu spät festzustellen, in was für ein Netz ich mich verfangen hatte.“
„Du willst mir also weißmachen, dass du keine Ahnung hattest, wem du dich angeschlossen hast, als du ein Todesser wurdest?“ erkundigte sich der ehemalige Rumtreiber ungläubig.
„So unwahrscheinlich das für dich auch klingen mag - aber ja, ich wusste tatsächlich nicht genau, auf was ich mich da einließ“, antwortete der Ex-Spion resigniert und wischte sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Ich meine, es war nicht so, dass ich vollkommen blauäugig war. Ich wusste, dass die Organisation eine Trennung zwischen Reinblütern und Muggeln, wie auch Muggelstämmigen wollte. Ich hatte absolut nichts gegen seine Weltanschauung, denn da mein biologischer Erzeuger ein Muggel war und mich in meiner Kindheit aus Zeitvertreib vermöbelt hatte, wann er nur konnte, war mein Hass auf Seinesgleichen groß. Und Tom war sehr geschickt dabei, diese Gefühle zu schüren und vor allem sie auszuweiten auf alles Nichtmagische.“ Ein trauriger Seufzer verließ seine Lippen, bevor er weiter meinte: „Er war wirklich unglaublich geschickt dabei und ich habe im Nachhinein eine Weile gebraucht, um diese ganzen Lügen wieder aus meinen Gedanken zu bekommen.“
„Mit was hat er dich geködert?“, fragte der Gastgeber.
„Nun, es gab Verschiedenes“, reflektierte der Gast, „er stellte mir beispielsweise in Aussicht viel Macht zu bekommen und du weißt ja, dass ich ehrgeizig war - und nach allem, was in meiner Schulzeit war, wollte ich mich nie wieder machtlos fühlen. Es war aber ebenso die Tatsache, dass er mich einfach bei sich haben wollte und meinte, dass wir gemeinsam ein Imperium aufbauen würden. Später merkte ich natürlich, dass ‚wir gemeinsam‘, nicht bedeutete, ich an seiner Seite, wie ein Gleichgestellter, sondern ich unter ihm mit Tausend anderen, die ihm untergeben waren.“ Nachdem er sein Glas gelehrt hatte, nahm er sich selbstironisch aufs Korn: „Tja, dumm gelaufen.“
Sirius ließ ihn sich sammeln und lauschte wieder seinen Worten, als Severus weitersprach: „Ich wusste sehr wohl, dass sie vorhatten an die Macht zu kommen - was ich nicht wusste war welche Methoden sie Anwendeten, um zu erreichen, was sie wollten. Was diese Bastarde tatsächlich bereit waren zu tun, um zu erreichen, was sie für das Richtige hielten. Tom ließ mich damals glauben, er wollte Zaubereiminister werden, um die ganze Gesellschaft dazu zu bewegen, seine Anschauung zu übernehmen und ich hoffte natürlich auf eine hohe Position im Ministerium.“
„Aber man konnte doch im Tagespropheten darüber lesen, dass die Todesser mordeten und vergewaltigten, wo sie nur hinkamen“, erinnerte der letzte Black ihn, während er ihn genau beobachtete.
„Ja, weil in diesem Schmierblatt auch immer nur die Wahrheit abgedruckt wurde“, lachte Severus sarkastisch auf, „Tom machte mir weiß, dass dies nichts als Lügen über ihn und seine Anhänger waren, und ich glaubte ihm, weil ich es glauben wollte. Ich wollte, dass das alles wahr ist, was er mir sagte. Und so schloss ich mich ihm an. Natürlich dauerte es dann nicht mehr lange, bis ich merkte, dass ich gefangen war in einem Lügennetz. Obwohl ich die Wahrheit erst wirklich erkannte, als ich ihm von der Prophezeiung erzählte und er seine Schlussfolgerung zog und plötzlich entschied, dass dieses Kind zu sterben hatte. Nie zuvor hatte er mir gegenüber von einem Mord geredet. An diesem Tag, als er mit mir darüber redete, beobachtete er mich genau und als ich dessen gewahr wurde, stieg ich darauf ein, denn in dem Augenblick erkannte ich, dass wenn ich es nicht tun würde, er mich töten würde.“
Snape schluckte schwer und nach einer Weile sagte er: „Für mich brach in dem Moment meine Welt zusammen. Meine selbstgewählte Vaterfigur war genau das Monster, von dem alle redeten und das ich mir beharrlich auszureden versuchte. Er wollte ein unschuldiges Kind ermorden, weil eine Verrückte irgendeinen Schwachsinn daher gebrabbelt hat und er sich einbildete, dass dieses Baby ihn eines Tages würde stürzen können. Als er dann auch noch einen Namen nannte und meinte, er würde diese ganze Familie auslöschen und es handelte sich um die Potters, dachte ich, ich müsste sterben. Riddle wollte Lily töten.“
Der Schmerz, der in den schwarzen Augen zu sehen war, war unermesslich und es kostete Severus auch deutlich Überwindung weiterzureden, aber er rang sich tatsächlich dazu durch. „Er wollte die Frau töten, die ich liebte“, hauchte das emotionale Wrack tonlos. „Ich flehte ihn an, sie zu verschonen, aber obwohl er es mir sogar zusagte, wusste ich, dass er mich anlog, und daher ging ich zu Albus, in der Hoffnung, er würde meine große Liebe retten. Auch hier wurde ich letztendlich enttäuscht, aber ich bereue es nicht, mich dieser Seite verschrieben zu haben, denn Lily hätte es glücklich gemacht, wenn sie es noch erlebt hätte.“
Wieder schwiegen sie eine Zeitlang, bis der Meister der Tränke doch noch einmal das Wort ergriff: „Erst in dieser Zeit, also wo ich anfing bei den Todessern zu spionieren, begann ich die Machenschaften von ihnen wirklich kennen zu lernen. Es war schrecklich für mich diese ganzen Gräueltaten nicht nur mitzuerleben, sondern sogar so zu tun, als ob ich dabei sein wollte. Tom war überglücklich, als ich mich plötzlich so engagierte - er war natürlich überzeugt, dass es war, weil ich ihm glaubte, dass er Lily verschonen würde. Es lief perfekt, denn ich hatte jetzt wirklich sein vollstes Vertrauen - lachhaft oder? Zuvor - in der Zeit, in der er alles für mich war - hatte er nur mit mir gespielt, ohne mir zu vertrauen, um mich zu dem zu formen, den er haben wollte. Erst als er glaubte, mich wahrhaft in der Hand zu haben, war er überzeugt, dass ich ein wahrhaft Getreuer war - obwohl er mich in Wirklichkeit da schon vollkommen verloren hatte.“
„Ironie des Schicksals“, meinte sein Zuhörer dazu.
Die Stille, die folgte wurde von einem unterdrückten Kichern unterbrochen. Wer von ihnen damit begonnen hatte, war im Nachhinein nicht ganz klar, aber am Ende lachten sich beide halb tot. Anfangs klang es bei Severus zwar leicht hysterisch, aber zuletzt war es ein wahrhaft herzerfrischendes Lachen von beiden.
„Aber im Grunde genommen habe ich damals einen Freund verraten - denn erst mit der Zeit erkannte ich, dass er nicht wirklich mein Freund war“, wurde der Slytherin dann doch noch einmal ernst.
„Komm schon, Alter, mach dir keinen Kopf mehr - das ist genauso verjährt wie meine Dummheiten aus der Schulzeit“, meinte jedoch der Gryffindor daraufhin.
Bevor sie ihr Gespräch weiterführen konnten, hörten sie die Eingangstür und begaben sich ins Vorzimmer, wo Harry seinem Paten in die Arme fiel und Remus, der den Schüler hergebracht hatte, Severus grüßend zunickte.
„Das werden die schönsten Osterferien unseres Lebens, mein Junge“, rief der Hausherr überschwänglich und drehte sich freudig im Kreis, „nur du, Harry und natürlich mein bester Freund“, er klatschte Remus auf die Schulter, „Severus und ich - das wird einfach grandios!“ Um dem Geschrei seiner erwachten Mutter in ihrem abgedeckten Portrait zu entkommen, lief Sirius ungestüm in die Bibliothek. Die erstaunten Blicke seiner neuen Besucher - aufgrund der Tatsache, dass er keinen seiner üblichen, beleidigenden Spitznamen für seinen Langzeitgast hatte - ignorierend ließ er sich aufs Sofa fallen.
Das versprach eine wirklich interessante Woche zu werden!
FIN